Wenn das Besondere zur Tortur wird: Qualzuchten bei Katzen

von Bärbel
Nacktkatze mit Decke

[Werbung] Sie bekommen kaum noch Luft, haben ständig Schmerzen oder können sich nicht mehr richtig orientieren: Rassekatzen leiden, weil Züchter etwas Besonders schaffen wollen. Experten sprechen dann von Qualzuchten und die sind in Deutschland – eigentlich – verboten. Doch das scheint weder die Käufer noch die Behörden zu kümmern.

Inhaltsübersicht

Anhand von Persern, Nacktkatzen und Faltohrkatzen möchte ich zeigen, wie viel Leid ein bestimmtes Schönheitsideal verursachen kann – auch wenn die Besitzer solcher Rassen darauf schwören, dass ihre Katze ein glückliches Leben führt. Doch viele der durch die Zucht verursachten Schäden sieht man nicht von außen, denn sie spielen sich im Körperinneren ab. Erschwerend kommt hinzu, dass Katzen ihre Schmerzen normalerweise verbergen. Auch Einschränkungen im artgemäßen Verhalten müssen einem nicht unbedingt auffallen, erst recht nicht, wenn man Katzenanfänger ist.

Perser: Verformte Schädel mit schrecklichen Folgen

Aufgrund ihrer ruhigen, zurückhaltenden Art haben Perserkatzen eine große Fangemeinde. Sie gehören zu den fünf beliebtesten Katzenrassen in Deutschland. Erwünscht ist bei dieser Züchtung ein großer, rundlicher Kopf mit einer breiten Nase, die einen ausgeprägten „Stop“ haben sollte (Stupsnase).

Peke Face Perser

Peke Face Perser

Dieses Schönheitsideal wurde im Laufe der Jahre immer extremer, die Gesichter der Perser immer flacher – mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit: Durch die Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit) kommt es unter anderem zu Zahnfehlstellungen und einer Verengung der oberen Atemwege, die zu Luftnot führt. Flachgesichtige Perserkatzen haben oft große Probleme mit den Augen, denn durch die Verkrümmung des Schädels sind die Tränennasenkanäle verengt. Die Tränen können nicht mehr nach innen abfließen. So entstehen die typischen Tränenspuren im Gesicht. Weil die Köpfe der Perserkatzen so groß sind, kommt es außerdem häufiger zu Schwer- und sogar Totgeburten.

Bei der extremen Form des Persergesichts, dem sogenannten „Peke Face“, befindet sich der obere Rand des Nasenspiegels über dem unteren Augenlidrand. Der Nasenspiegel ist der unbehaarte Bereich um die Nasenlöcher. Forscher der Justus Liebig Universität Gießen haben die Schädel von Peke-Face-Persern per CT und MRT untersucht. Sie fanden heraus, dass der missgebildete Kopf das Gehirn derart verformt, dass das Kleinhirn nach hinten durch das Hinterhauptloch gedrückt wird: „Mit zunehmender Reduktion des Gesichtsschädels wird auch das Volumen des Gehirnschädels reduziert und bietet dem Gehirn weniger Platz. Die Folge ist eine Verlagerung des Kleinhirns in den Wirbelkanal.“ Kitten aus solchen Zuchten haben oft neurologische Ausfallerscheinungen und viele von ihnen sterben früh.

Nacktkatzen: Schutzlos und desorientiert

Die Rasse der Sphynx-Katzen geht auf einen haarlosen Kater zurück, der in den sechziger Jahren in Kanada als Sohn einer gewöhnlichen Hauskatze zur Welt kam. Man sagt ihnen nach, dass sie sehr freundlich und menschenbezogen sind.

Nacktkatzen, wie die Canadian Sphynx, leiden oft an Unterkühlung und sind anfällig für Sonnenbrand. Das ist aber längst noch nicht alles: Ihnen fehlt nicht nur das Fell, sondern auch die Wimpern, so dass ihre Augen nur unzureichend geschützt sind. Die Vibrissen (Schnurrhaare) sind entweder überhaupt nicht vorhanden oder ganz kurz. Somit fehlt Nacktkatzen ein wichtiges Sinnesorgan zur Orientierung, vor allem in der Nacht. Weil Katzen Objekte erst ab einem Abstand von etwa 20 Zentimetern scharf sehen, benötigen sie ihre Schnurrhaare auch, um Objekte im Nahbereich abzutasten und zu erkennen. Nacktkatzen können das nicht.

Das verborgene Leiden der Faltohrkatzen

In den sozialen Medien und in der Werbung begegnet man in letzter Zeit häufiger Katzen mit Knick- oder Faltohren. Rassen wie die Scottish Fold werden offenbar immer populärer. Ihr niedliches Aussehen bezahlt die Faltohrkatze mit einem grausamen Schicksal: „Faltohrkatzen tragen eine von den Züchtern billigend in Kauf genommene Veranlagung zu schwersten Knorpel- und Knochenschäden in sich, die einen frühen Tod bedeuten“, heißt es in einem Flyer über Qualzuchten von der Bundestierärztekammer.

Faltohrkatze

Faltohrkatze

Birgitta Kuhlmey ist eine ehemalige Wertungsrichterin für Rassekatzen. Auf ihrer Website Katzengenetik.com schreibt sie: „Das Rassemerkmal der Scottish Fold ist eine Krankheit. Diese unheilbare Erbkrankheit heißt ‚Osteochondrodysplasie‘, äußerlich sichtbar ist sie durch die abgeknickten Ohrmuscheln.“ Weil das defekte Knorpelgewebe das Gewicht der Ohrmuscheln nicht tragen kann, kippen die Ohrmuscheln nach vorne.

Diese Tiere können nicht mehr auf Katzenart mit ihren Ohren kommunizieren, aber das ist noch nicht alles: Die Knochen- und Knorpelschäden treten im ganzen Körper auf und werden mit den Jahren immer schlimmer. Faltohrkatzen haben irgendwann ständig Schmerzen und bewegen sich deshalb mit zunehmendem Alter immer weniger.

Um einem vom Menschen bestimmten Schönheitsideal zu genügen, sind Perser, Nacktkatzen, Faltohrkatzen und andere Rassekatzen in ihrem artgemäßen Verhalten eingeschränkt, leiden Schmerzen oder sterben viel zu früh. Im Extremfall sprechen Experten von einer Qualzucht. Doch wie definiert man Qualzucht eigentlich?

Was bedeutet Qualzucht?

In einer Pressemitteilung der Tierärztekammer Berlin findet sich folgende Definition für Qualzucht: „Als Qualzucht bezeichnet man bei der Züchtung von Tieren die Duldung oder Förderung von Merkmalen, die mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen für die Tiere verbunden sind. Dies ist für Wirbeltiere nach § 11b TierSchG [= Tierschutzgesetz, d. Verf.] in Deutschland verboten.“

Das Verwaltungsgericht Berlin hat 2015 in einem Urteil die Zucht von Canadian Sphynx-Katzen ohne Vibrissen verboten, eben weil ihnen ein wichtiges Sinnesorgan fehlt. Doch wer möchte, kann auch weiterhin problemlos Nacktkatzen ohne Schnurrhaare übers Internet beziehen, auf Online-Portalen mit Sitz in Deutschland. Auch Faltohrkatzen werden dort ganz offen angeboten. Wie ist das möglich?

Ich habe Friedrich Röcken, Tierarzt und Leiter der Arbeitsgruppe Qualzucht bei der Bundestierärztekammer, dazu gefragt. Seine Antwort: „Wo kein Kläger, da kein Richter. Noch ist der Verkauf von Tieren über das Internet meines Wissens nicht verboten. Allerdings kann man sich an die  Veterinärämter wenden, in deren Zuständigkeitsbereich Züchter oder Vermehrer ansässig sind, die Tiere mit erkennbaren Defektzuchtmerkmalen im Internet anbieten, damit die Behörde  möglichen Verstößen gegen das Tierschutzgesetz nachgehen kann.“

Sind nun auch alle Perserkatzen Qualzuchten? Röcken: „Zuchtrichtungen mit deutlichen verkürzten Gesichtsschädeln und entsprechenden klinischen Folgeerscheinungen müssen nach allen bisherigen Erkenntnissen als Qualzüchtungen im Sinne des Tierschutzgesetzes erachtet werden. Dies gilt nicht für Perserkatzen mit der alten klassischen Schädelform.“

Nacktkatze

Angebot einer Nacktkatze ohne Schnurrhaare auf einem deutschen Online-Portal

Mein Appell an alle Katzenfans: Kauft keine Qualzuchten

Auch bei der Katzenzucht geht es um Angebot und Nachfrage. Bevor ihr euch eine Katze zulegt, überlegt bitte genau, ob es wirklich eine Moderasse sein muss. Ihr habt es mit eurer Kaufentscheidung in der Hand, ob weiterhin Qualzuchten produziert werden oder ob dieses Elend irgendwann einmal aufhört.

Züchter und Besitzer von Qualzuchten verharmlosen das Problem gern. Sie argumentieren damit, dass die Katzen nicht leiden würden – schließlich seien sie ja auch lieb und anhänglich. Aber nur, weil eine Katze lieb und menschenbezogen ist, heißt das nicht automatisch, dass es ihr gut geht. Bitte fallt auch nicht auf das Argument von der „natürlichen Mutation“ herein, das zum Beispiel von Nacktkatzen-Züchtern ins Spiel gebracht wird. Zu einer natürlichen Mutation gehört auch eine natürliche Selektion. Die findet hier aber nicht statt – im Gegenteil: Die Mutation wird planmäßig weiter gezüchtet. Katzenzüchter, in aller Regel keine studierten Tiermediziner und Biologen, haben im besten Fall ein oberflächliches Wissen über Genetik. Sogenannte „Vermehrer“, die ihre kranken Katzen übers Internet feilbieten, wahrscheinlich noch nicht einmal das.

Bitte informiert euch

„Grundsätzlich gibt es heute eine Vielzahl von seriösen Möglichkeiten, sich zu informieren. Man kann sich Rat bei fachlich versierten Tierärztinnen und Tierärzten holen, beim Deutschen Tierschutzbund, bei der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz. Man kann sich im Internet beispielsweise bei Wikipedia informieren, wo seit einigen Jahren auch zunehmend qualifizierte Informationen zu Hunde- und Katzenrassen, ihren wichtigsten Krankheitsdispositionen oder die rechtlichen Situationen veröffentlicht werden“, empfiehlt der Qualzucht-Experte Friedrich Röcken.

Wenn ihr schon eine Rassekatze habt, informiert euch bitte erst recht genau über etwaige gesundheitliche Probleme. So manch ein Katzenbesitzer weiß gar nicht, wie schlecht es seinem Tier geht. Deshalb: Sprecht mit eurer Tierärztin, geht regelmäßig zur Vorsorge und lasst euch beraten, wie ihr eurer Rassekatze das Leben ein wenig besser machen könnt.

Links zum Thema Qualzuchten bei Katzen

Bundestierärztekammer e.V.: Qualzuchten
Flyer der Bundestierärztekammer mit Checkliste
Justus-Liebig-Universität Gießen: Brachycephalie Perser
Katzengenetik.com
Liste der betroffenen Merkmale des Gutachtens zur Auslegung des Verbotes von Qualzüchtungen
Tierschutzgesetz, § 11b

Dieser Beitrag wird unterstützt von der AGILA  Haustierversicherung. Dafür vielen Dank!
Bilder: © kostikovanata, Nickolas Titkov, Justin Ngan, Screenshot

Ähnliche Artikel

Hinterlasse einen Kommentar

* Du erklärst Dich bei jedem Kommentar mit der Speicherung und Verarbeitung Deiner Daten durch diese Website einverstanden. Weitere Informationen dazu findest Du in der Datenschutzerklärung.